Stellungnahme der ATF zur Ukraine
8. März 2022, von Doris Franzbach
26. Februar 2022, Arbeitsstelle Theologie der Friedenskirchen, Universität Hamburg
„Es herrscht Krieg!“
Plötzlich nicht mehr weit weg, sondern sehr nahe. Ein militärischer Angriff durch eine
Atommacht auf einen anderen, unabhängigen Staat, das schien vielen undenkbar, jedenfalls
in Europa! Und das verursacht zunächst Angst. Angst versetzt aber in eine Starre, und genau
das ist in einer solchen Situation wenig hilfreich.
„Im Krieg ist die Wahrheit das erste Opfer“, meinte bereits Aischylos (525-456 v. Chr.). Im
Grunde wird die Wahrheit aber bereits lange vor Kriegsbeginn geopfert, zugunsten von
Propaganda und Erregung, um Menschen überhaupt dazu zu bewegen, einen Krieg zu
befürworten, ihn zu legitimieren oder sich sogar selbst daran zu beteiligen. Darum ist die
beständige politische Analyse auch für die theologisch-ethische Reflektion so wichtig.
Hierzu sucht die ATF seit vielen Jahren vor allem auch die Stimmen „am Rande“ auf, die der
vermeintlich Machtlosen, der unmittelbar von einem Krieg Betroffenen. – In der Ukraine
sind das jetzt kleine Friedenskirchen, die sich für den Schutz von Zivilisten engagieren. Und
es sind Wissenschftler*innen, mit denen wir gemeinsame Projekte gemacht haben. In
Russland sind es die Stimmen, die noch den Mut aufbringen, gegen das Handeln der eigenen
Regierung zu demonstrieren. In Europa und Nordamerika sind es die vielen Friedensinstitute,
Nichtregierungsorganisationen und Kirchen der Ökumene, aus deren Einschätzungen und
Erfahrungen es gelingen kann, die Bedürfnisse und Weisheiten der Zivilbevölkerung in den
Vordergrund zu rücken. Der Schutz der allgemein anerkannten Menschenrechte – für alle –
orientiert zusätzlich ein ethisch verantwortliches Urteilen und Handeln.
Eine Aufgabe besteht demnach auch darin, eine Rhetorik zu entlarven, die die jetzige
Gewaltspirale nur weiter antreibt und im Grunde bereits zu der Situation geführt hat, die
jetzt viele bedroht: „notwendige Abschreckung“, „Strafmaßnahmen“, „Aufrüstung“,
„Verstärkung der Ostflanke“, „Verantwortung zu Waffenlieferungen“ u.v.m. Vermengt mit
überkommenen Mustern des Nationalismus, Militarismus, auch Imperialismus – zum Teil
sogar von Kirchenführungen befördert – ist eine politische Konfrontation herangewachsen,
die niemand wollen kann.
„Wie wird Frieden?“ – fragte Dietrich Bonhoeffer 1934 eindringlich auf einer internationalen
ökumenischen Konferenz. Er wies eindringlich auf die Verwechslung von „Sicherheit“ und
„Frieden“ hin. „Es gibt keinen Weg zum Frieden auf dem Weg der Sicherheit“, war seine
Überzeugung. „Sicherheiten fordern heißt Misstrauen haben, und dieses Misstrauen gebiert
wiederum Krieg. Sicherheiten suchen heißt sich selber schützen wollen.“ Bonhoeffer rief
damals die Kirchen als Ökumene auf, sich gemeinsam unbedingt für den Frieden
einzusetzen.
In der Tradition der historischen Friedenskirchen, die Gewaltfreiheit als ein essentielles
Merkmal des christlichen Glaubens ansieht, suchen wir in der ATF nach einer Theologie und
Ethik, die politisches Handeln so orientiert, dass ein Gerechter Frieden herrschen kann, für
alle. Dazu ist die Kreativität aller Menschen nötig, egal zu welcher Nationalität oder Kultur
sie sich selbst zählen, unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit oder Weltanschauung.
Aus der spirituellen Dimension des Glaubens entsteht neue Kraft zur gewaltfreien
Friedensbildung. Daher sind die vielen politischen Gebete, die jetzt stattfinden, geeignete
Orte, um – gemeinsam mit anderen – Wege aus der Gewaltspirale zu finden.
26. Februar 2022, Arbeitsstelle Theologie der Friedenskirchen, Universität Hamburg
https://www.theologie.uni-hamburg.de/einrichtungen/arbeitsstellen/friedenskirche.html