Bericht über das Friedensforum am 29.04.2022
9. Mai 2022, von Doris Franzbach
Bericht Friedensforum 29.04.2022: Frieden schaffen ohne Waffen? – “Es gibt keinen Weg zum Frieden auf dem Weg der Sicherheit…".
Am Abend des 29.04.2022 schalteten sich erneut über 140 Menschen ein, um an der zweiten Veranstaltung des Friedensforums der Arbeitsstelle Theologie der Friedenskirchen teilzunehmen. Das Bonhoeffer Zitat aus dem Titel diente als Auftakt, um sich dem Themenkomplex der gegenwärtig drängenden Frage: Wie wird Frieden, und wie hängt dieser mit Sicherheit zusammen, zu nähern. Die drei eingeladenen Gäst*innen brachten hierzu in einem von Prof. Fernando Enns moderierten interdisziplinären Gespräch verschiedene Konzepte und Positionen aus ihrer Forschung und Praxis ein.
Dr. Sabine Jaberg, Politologin und Friedensforscherin aus Hamburg, stellte zu Beginn fest, dass sich im aktuellen Diskurs um Waffenlieferungen an die Ukraine die Begründungslast stark zu den Ablehnenden hin verschiebe. Jene gelten derzeit entweder als Unterstützer*innen Moskaus oder als gänzlich naive Menschen. Waffenlieferungen erscheinen dabei als moralisches Gebot. Als Mitglied der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung arbeitete sie an dem Konzept „Friedenslogik“ mit, das sich dezidiert kritisch mit der Sicherheitslogik auseinandersetzt und stattdessen fragt, "Wie tickt eigentlich Frieden?"[i] Es sei ein im Kern pazifistisches Programm, aber vor allem auch eine Heuristik, eine methodische Anleitung, auf je konkrete Konflikte zu schauen. Aus dieser Sichtweise heraus formulierte Frau Jaberg acht Argumente, mit denen man in aktuellen Situation gut begründet für eine pazifistische Position eintreten könne:
1- Normative Entscheidung: Konsequenter Pazifismus (säkular oder religiös)
2- Pragmatische Entscheidung: Untauglichkeit militärischer Mittel ein Ziel zu erreichen
3- Rationales Argument: Kriegsuntauglichkeit technisch hochentwickelter Gesellschaften
4- Strategisches Argument: Absolute Vermeidungspflichtigkeit eines Krieges zwischen der NATO und Russland aufgrund der Atomwaffendimension
5- Risikoaverses Kalkül: Zu hohes Risiko eines Nuklearkrieges auch bei geringer Eintrittswahrscheinlichkeit aufgrund des großen Schadensausmaßes
6- Konfliktpsychologisches Argument: Gefahr, dass die Parteien bei ungebremster Eskalationsdynamik schlussendlich bereit sind, sich gemeinsam in den Abgrund zu stürzen (Eskalationsstufen nach Friedrich Glasl)
7- Herrschaftskritische Perspektive: Friedenslogik als Alternative zu gewaltsam ausgefochtenen Dominanzansprüchen
8- Diskursives Argument: Aufrechterhaltung alternativer Denk- und Handlungsräume.
Ralf Becker koordiniert im Auftrag der Ev. Landeskirche in Baden die Initiative „Sicherheit neu denken“.[ii] Diese bemühe sich, möglichst viele mitzunehmen auf dem Weg, Sicherheit zivil und kooperativ zu denken. Gerade jetzt sei es enorm wichtig, den Kontakt zur Politik zu halten. So könne er verstehen, unter welchem enormen Druck die Regierung international stehe und anerkennen, wie lange sie die Spannung ausgehalten habe. Anliegen der Initiative sei es nicht, die jetzige Haltung zu verurteilen, sondern zu versuchen die "Teil-Macht" der Kirche zu nutzen, um starke Gesprächsfäden zu knüpfen und Einfluss zu nehmen: Welche Sicherheit brauchen wir, die die Bedürfnisse aller im Blick behält? Jeder Mensch lerne innergesellschaftlich, dass Kooperation nur auf Augenhöhe funktioniere. Verhandlungen mit Russland können nur Erfolg haben, wenn sich die eigene innere Haltung ändere. Was muss geschehen, damit China und Russland als Partner auf Augenhöhe gesehen werden? Es fehle derzeit an verbindenden Signalen in der Kommunikation, eine abrüstende Sprache: "Wenn ihr den Krieg beendet, dann nehmen wir die Sanktionen zurück. Wir können die Welt nicht gestalten, wenn wir eine militärische Dominanz-Strategie fahren."
Antje Heider Rottwilm, Vorsitzende des europäischen Netzwerkes Church & Peace betonte, dass der derzeitige besorgniserregende Militarismus in den Debatten bei vielen Mitgliedern von Church & Peace aus Osteuropa zu einer Wiederbelebung von Erinnerungen der 1980er/90er Jahren führe. Diese hätten die Folgen eines Krieges am eigenen Leibe erlebt und wüssten um die schwierigen und langen Prozesse, die es für Versöhnung braucht. Die klare Botschaft sei: "Es wird Jahrzehnte dauern, bis das aufgearbeitet ist, was gerade passiert". Die historischen Beziehungen zu den Machtkämpfen der Vergangenheit und insbesondere zur Rolle der Nato müssten reflektiert werden. Auch in der Ökumene findet derzeit ein Ringen statt um die Frage, bis zu welchem Punkt Gespräche mit der russisch-orthodoxen Kirche aufrechtzuerhalten sind. Es gibt die Stimmen, die einen Ausschluss aus dem ÖRK fordern. Eine Friedenslösung sei jedoch nur auf Basis von Beziehung möglich, so Rottwilm. Die Ökumene müsse jede Chance nutzen, um die Gesprächsfäden aufrechtzuerhalten, die in der Konferenz europäischer Kirchen (KEK) leider abgerissen seien. Debatten um Identitäten und Werte wurden unterschätzt.
Als Grundfrage des Abends kristallisierte sich heraus, wie in Anbetracht unterschiedlicher "Logiken" Dialog auch in unseren Debatten gelingen kann, bzw. bis wohin Gesprächsbereitschaft gehen kann und darf. Es wurde diskutiert, ob die Sicherheitslogik durch das Ziel eines größtmöglichen Gestaltungseinflusses nicht Gefahr laufe, auf "die andere Seite" gezogen zu werden. Dies werde kritisch reflektiert, so Ralf Becker, aber es müsse die Chance genutzt werden mit der Politik gemeinsam nach Lösungen zu suchen, in der Hoffnung, damit die friedensmahnende Stimme Gehör findet. Frau Jaberg merkte an, ob es bei allem Verständnis für die Verantwortlichkeit der Regierungen und beim gemeinsamen Ringen um angemessene Positionierungen bei der aktuellen Diskursverschiebung eine Art „äußere Haltelinie“ brauche, die man der Politik auch anbieten muss. Antje Heider Rottwilm fragte nach der herausfordernden Stimme der Kirchen: Wo ist die Infragestellung der Militärlogik durch die christlichen Positionen? Die Verquickung der russisch-orthodoxen Kirche mit der Politik werde beständig angemahnt, aber selbstkritisch sollten wir fragen: Wo haben wir in eindeutiger Weise unsere Politiker*innen herausgefordert?
Es wurde festgehalten, dass bei der Frage nach der Positionierung zu Waffenlieferungen stets gefragt werden müsse: Sind sie wirklich geeignet, die Ukrainer zu schützen? Friedensethik muss dazu auffordern innezuhalten und zu reflektieren: Sicherheit für wen? Schaffen noch mehr Waffen tatsächlich mehr Sicherheit? Aber auch zur Frage nach der Wirkung und Bedeutung von Sanktionen gibt es keine einfachen Antworten, so lässt sich derzeit beobachten, dass sie immer stärker ein Gefühl erzeugen, selbst doch Kriegspartei zu werden.
In der abschließenden Diskussion mit dem Publikum wurde vor allem die „Entweder-Oder“ Logik innerhalb des gegenwärtigen Diskurses infrage gestellt. Dualistisches Denken führe meistens nur zu Gewalt, nahm auch Fernando Enns dieses Stichwort auf. Es suggeriere, dass es keine Alternative zwischen Waffen liefern oder aber Ukrainer*innen im Stich lassen, gebe. Sabine Jaberg reagierte darauf und verdeutlichte, dass auch die pazifistische Haltung den unsicheren Ausgang auszuhalten habe. Nicht jeder friedvolle Weg führe zum Guten. Jedoch könne mit Sicherheit gesagt werden, dass militärische Gewalt nicht zum Frieden führen wird. Jeder kleine friedenslogische Schritt hilft und trägt zu einer veränderten Haltung und zum langfristigen Frieden bei.
In der dritten Veranstaltung am 02. Juni 2022 soll der Fokus noch stärker von der Theorie auf die Praxis gelenkt werden. Welche konkreten gewaltfreien Handlungsmöglichkeiten gibt es?
[i] https://pzkb.de/friedenslogik/
[ii] https://www.sicherheitneudenken.de/