Frieden schaffen - mit Waffen oder mit Worten?Bericht vom Ukraine-Abend
16. Mai 2023, von Doris Franzbach
Bericht mennoForum 5. Mai 2023 in Hamburg
Frieden schaffen mit Waffen? – Krieg in der Ukraine
Die diesjährige Themenreihe des mennoForum beschäftigt sich, anschließend an die von der Arbeitsstelle Theologie der Friedenskirchen organisierten Diskussionsabende im vergangenen Frühjahr, mit dem Krieg in der Ukraine: „Frieden schaffen – mit Waffen oder mit Worten“. Der erste Abend stellte sich über ein Jahr nach dem Kriegsbeginn gegen die gesamte Ukraine (weiterhin) aktuellen Fragen: ob eine gewaltfreie Haltung durchzuhalten ist, wenn Menschen so unmittelbar Gewalt erfahren? Und ob es Alternativen gibt?
Geladen wurden Vertreter*innen aus unterschiedlichen Fachbereichen sowie zwei betroffene Ukrainerinnen. Es diskutierten: Dr. Charlotte Misselwitz, Journalistin und Medienwissenschaftlerin, die aktuell am Institut für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin arbeitet, Professor Dr. Olaf Müller, Professor für Wissenschaftsphilosophie an der Humboldt Universität, der im vergangenen Jahr das Buch „Pazifismus. Eine Verteidigung“ veröffentlichte, und Rudi Friedrich vom Verein Connection e.V., der international Kriegsdienstverweigerer unterstützt. Professor Dr. Fernando Enns moderierte den Abend. Es berichteten außerdem Svitlana Honcharuk, eine Geflüchtete aus Odessa, und Lisa Kotiuk, eine Freundin Svitlana Honcharuks, die mit der Übersetzung half, aber ebenfalls ihre persönlichen Überzeugungen beitrug.
Svitlana Honcharuk kam im vergangenen Jahr mit ihren beiden Kindern nach Hamburg und erhielt hier Unterstützung durch deutschsprachige Freund*innen und Gemeindemitglieder der Mennonitengemeinde Hamburg-Altona. Ihre Kinder seien hier glücklich, hätten schnell Freund*innen gefunden und Sirenen und Bomben begleiteten nicht mehr ihren Alltag. Ihr Ehemann darf das Land nicht verlassen, sei aber bisher nicht eingezogen worden. Svitlana Honcharuk berichtete außerdem über die unterschiedlichen Meinungen über den Krieg selbst innerhalb der Familie. Auf der einen Seite sei ihr Mann, der nicht kämpfen wolle und auf der anderen ihr Bruder, der überzeugt sei zu kämpfen und dass der Krieg gewonnen werden könne.
Über diese unterschiedlichen Meinungen innerhalb der Ukraine berichtete auch Charlotte Misselwitz, die bereits 2015 in Odessa nach der Maidan Revolution auf Veränderungen der Narrative „pro-russisch“, „pro-ukrainisch“ traf. Heute beobachtet die Medienwissenschaftlerin, dass viele Narrative, die zur Debatte gehören, in unseren Medien nicht mehr präsent seien. Eine pazifistische Haltung sei beispielsweise nicht vertreten, es gäbe nicht einmal mehr Diskussionen über Alternativen zu Waffenlieferungen, die wie Sanktionen auch gewaltvoll seien.
Dieser Krieg ist ein polarisierendes Thema. Rudi Friedrich berichtete von den zahlreichen Toten und dem Zwang sich für „eine Seite“ zu entscheiden. Kriegsdienstverweigerer, so seine Einschätzung aus der Begleitung von diesen aus der Ukraine und Russland, steigen aus dieser Polarisierung aus. Mit ganz unterschiedlichen Gründen. Dass der Krieg ein polarisierendes und vor allem emotionales Thema ist, zeigten auch die Schilderungen von Lisa Kotiuk. Sie bezeichnete sich vor dem Krieg als wenig patriotisch geprägt, habe aber jetzt eine klare Haltung zu dem Krieg und bezeichnete auch Waffenlieferungen als absolut notwendig. Ihre Angst ist groß, dass ihre ukrainische Identität verloren geht und dass sie bei einer Niederlage der Ukraine ihre demokratischen Rechte wie Meinungsfreiheit verlieren würde. Auch in abschließenden Fragen aus dem Publikum kam der Gedanke auf, dass es aufgrund von Barmherzigkeit notwendig sei, Ungeschützte zur Selbstverteidigung auszustatten. Charlotte Misselwitz verneinte diese Annahme, denn als Dritte wäre es rationaler auf Deeskalation, statt Bewaffnung zu setzen. Auch Olaf Müller warnte vor dieser Gewaltspirale. Volle Unterstützung für die Ukraine in dieser Argumentation würde schließlich bedeuten, dass wir selbst in den Krieg voll einsteigen. Er wies darauf hin, dass die weitere Fortführung des Krieges vor allem eines darstelle: Eine immer weiter steigende Gefahr eines Atomkriegs. In Antwort auf die Beiträge von Lisa Kotiuk räumte er ein, dass er sich mit seiner pazifistischen Haltung an den Ukrainer*innen schuldig mache, aber es gäbe keinen Ausweg aus diesem Krieg „mit weißer Weste“. Eine Solidaritätsleistung könnte es seiner Meinung nach darstellen, die Atomkraftwerke in der Ukraine abzuschalten und ihnen Strom zu liefern. Dass sei teuer, ja, aber durch die angespannte Situation könnte es jederzeit zu ungewollten Angriffen kommen. Die Frage nach der Barmherzigkeit beantwortete er damit, dass er sich in einer individuellen Lage ebenso verhalten würde, aber der Krieg sei ein internationaler und die Gefahr für die gesamte Menschheit sei groß. Auch Rudi Friedrich bezeichnete Krieg als staatlich organisierte Gewalt und es sei wichtig zivilen Widerstand zu unterstützen, die Unterstützung von Kriegsdienstverweigerern bedeute demnach nicht nur individuelle Unterstützung, sondern eine Stärkung des zivilen Widerstandes.
Der Abend bot ausreichend Gelegenheit sowohl von wissenschaftlicher als auch (emotional) betroffener Seite über die Frage nach Waffenlieferungen und Alternativen nachzudenken und so die fehlenden Narrative in den Medien wieder in unser Nachdenken einzubeziehen.
Laura Hoolt