Operation GomorrhaErinnern und GedenkenHamburg im Sommer 1943
24. Juli 2018, von Frank Martin Brunn
In diesem Jahr hat sich die sog. Operation Gomorrha zum 75. Mal gejährt. Operation Gomorrha war im Zweiten Weltkrieg der militärische Codename für eine Serie von Luftangriffen der britischen Royal Air Force (RAF) und der US-amerikanischen Eighth Air Force vom 24. Juli bis 3. August 1943 auf Hamburg. Der Name leitet sich von der biblischen Geschichte der Zerstörung Sodoms und Gomorrhas ab, bei der es Schwefel und Feuer vom Himmel regnet (1. Mose 19,24). Die Angriffe waren die bis dahin schwersten in der Geschichte des Luftkrieges. Die St. Nikolai Kirche im Stadtkern Hamburgs, heute Mahnmal, war die Orientierungsmarke der RAF. Die Operation Gomorrha steht für das Flächenbombardement ziviler Ziele in Hamburg, mit dem nicht nur die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Deutschen Reiches, sondern auch die Bereitschaft in der deutschen Bevölkerung, die Kriegspolitik der Nationalsozialisten zu unterstützen, gebrochen werden sollte. Ihr Vorbild hatte sie in der deutschen Bombardierung von Warschau, Rotterdam und Coventry. Mit Sprengbomben wurden die Dächer der Häuser abgedeckt, die folgenden Brandbomben entzündeten Dachstühle und Treppenhäuser. Die Feuer breiteten sich rasend schnell aus. In keiner anderen Stadt entfaltete diese Taktik eine so katastrophale Wirkung wie in Hamburg, auch bedingt durch die trocken-heiße Wetterlage. Die zahlreichen Berichte über die Angriffswellen lösen Schaudern und Entsetzen über die Gewalt dieses Krieges aus. Zugleich fesseln sie Leser und Betrachter durch eine faszinierende Ästhetik der Zerstörung. Wer von uns später Geborenen Bilder und Filmdokumente über die Ereignisse sieht, Berichte liest, die Ausstellung im Mahnmal St. Nikolai besucht oder noch verbliebene Zeitzeugen hört, verspürt wohl eine schaudernde Erleichterung, nicht dabei gewesen zu sein.
Doch es geht nicht in erster Linie um ein solches Gefühl des Schauderns, wenn wir uns an die Operation Gomorrha erinnern. Die historische Erinnerung an dieses furchtbare Ereignis verfolgt drei theologische Ziele: ein psychologisch-seelsorgliches (1), ein ethisches (2) und ein das christliche Gottesbild betreffendes (3).
(1) Das psychologisch-seelsorgliche Ziel: Menschen, die die Luftangriffe auf Hamburg im Sommer 1943 erlebt haben, müssen mit furchtbaren Erinnerungen leben. Auch ihre nachgeborenen Familienmitglieder haben an diesen Erinnerungen zu tragen. Gedenktage und Gedenkorte geben diesen Erinnerungen Raum, benannt und bedacht zu werden. Als Zeiten und Orte der Trauer ermöglichen sie es, der unausgesprochenen persönlichen und gemeinschaftlichen Erinnerung Ausdruck zu geben und ihre unterschwellige, oft lähmende Macht zu begrenzen.
(2) Das ethische Ziel jeder historischen Erinnerung ist es, aus der Vergangenheit für die Zukunft zu lernen. Der ethische Sinn der Erinnerung an Ereignisse wie die Operation Gomorrha liegt darin zu verstehen, was Krieg bedeutet. Das Gedenken solcher Ereignisse veranschaulicht, was geschehen kann, wenn militärische Gewalt an die Stelle von Diplomatie in der politischen Auseinandersetzung tritt. Wer das Leben auch nur ein bisschen liebt, kann nicht wollen, dass sich ein solches Ereignis wiederholt. Die Operation Gomorrha mahnt also dazu, politische Wege des Friedens zu suchen und zu gehen.
(3) Zum christlichen Gottesbild gehört die Überzeugung, dass Gott das Heil und das Glück eines jeden Menschen will. Der Prophet Jesaja beschreibt das mit dem Bild vom Tränenabwischen (Jes 25,8). Das schließt ein, dass sich Gott jedem einzelnen Menschen zuwendet und in jedem Erlebnis ernstnimmt. Das christliches Gedenken an Ereignisse wie die Operation Gomorrha ist daher ein Glaubenszeugnis für das Gedenken Gottes an jede individuelle Person und ihr Leid.